Ost in Space reviewed Die Insel der Roboter by Karl-Heinz Tuschel
Agentengeschichten mit nostalgischem Touch
3 stars
Content warning die Rezension enthält geringfügige Spoiler zur Romanhandlung
Karl-Heinz Tuschel war wenn nicht der, dann doch wenigstens einer der produktivsten Science Fiction Autoren der DDR. Was liegt also näher als dieses Blog mit einer Rezension einer seiner Titel zu beginnen? Von seinem Roman „Die Insel der Roboter“ stehen seit ich denken kann gleich zwei Exemplare ungelesen im Bücherregal. Irgendwer hat die irgendwann vor der Wende einmal gekauft. Damals als Bücher noch knapp waren und auch gerne gegen andere Dinge eingetauscht werden konnten.
Nach dem Mauerfall war dann irgendwie alle Literatur interessanter als die aus dem Osten. Auf der anderen Seite klang der Titel immer irgendwie verlockend und so verheißungsvoll, dass ich mich nie überwinden konnte die beiden Taschenbücher auszusortieren. Und so haben sie über 40 Jahre, 8 Umzüge und mehrere Städte hinweg in meinem Regal gelegen bis ich endlich einmal Zeit und Muße gefunden habe, mich der Geschichte zu stellen.
1973 im Militärverlag erschienen, handelt es sich um einen Zukunftsroman aus der Perspektive des Dr. Jürgen Tischner, einem Oberleutnant eines Panzerregiments der NVA, welcher als einer der ersten Offiziere an einer neuen als „Gefechtsleitelektronik“ (GLE) bezeichneten Militärtechnologie ausgebildet wurde. In dem Roman wird er von Horst Heilig, einem Mitarbeiter der „Inspektion für Produktionssicherheit“ am „Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe“ (RGW) für einen Spezialeinsatz rekrutiert.
Zusammen mit Werner Frettien, der von „den Sicherheitsorganen“ abgestellt wurde, bilden die drei eine Art temporäre „Sicherungsgruppe“ an einem rätselhaften „Institut für elektronische Pädagogik“ (INSEL), einer als Außenstelle der Universität Jena getarnten Roboterfabrik in einem geheimen Bunker im Erzgebirge. Ihre Aufgabe ist es in dieser heißen Phase der Systemkonkurrenz, die Angriffe des Klassenfeindes zu verhindern, welche darauf abzielen, die Roboterentwicklung der RGW-Länder zu sabotieren und so eine besonders entscheidende Etappe in der „wissenschaftlich-technischen Revolution“ des Ostblocks zu stören.
Die Geschichte spielt in einer DDR der nahen Zukunft der 1990er Jahre, alles aus der Perspektive der 1970er. Der realsozialistische Staat und die Gesellschaft der DDR haben sich nicht grundlegend geändert, hier und da weisen jedoch gelegentlich eingestreute Details auf eine rasante technologische Entwicklung hin. So fahren die Protagonisten auf der Autobahn in Richtung Ostsee mit einem „Autobahn-Automatik“ genannten Autopiloten. Im Erzgebirge werden „Laserrichtstrahlen“ für die Telefonverbindung zur nahegelegenen Post verwendet und dergleichen mehr. Darüber hinaus scheinen die Verhältnisse aber noch den 70er Jahren zu entsprechen.
Ein Hauptaugenmerk liegt auf der Arbeit an den Robotern und ihrer Entwicklung bzw. ihrem „Training“. Hierfür sind eigentlich besondere Expert*innen beschäftigt, sogenannte „Arbeitspädagogen“, allerdings stellt sich schnell heraus, dass unser Hauptprotagonist nicht nur ein hervorragender Autodidakt ist und es ihm so gelingt, die anfangs völlig fremde Materie innerhalb kurzer Zeit zu verinnerlichen, nein, er wird von den auf der INSEL versammelten Doktoren und Professoren („Crème der Jenenser Wissenschaft“) auch gedrängt ihre Fachprobleme zu lösen.
Und auch der Klassenfeind schläft nicht, so dass Tischner im Verlauf der folgenden Monate zunehmend unter Stress und Doppelbelastung zu leiden beginnt, muss er doch gleichzeitig die immer häufiger werdenden Auftritte feindlicher Spione vereiteln.
Es entspannen sich zwei parallele Handlungsstränge, welche leider ausschließlich aus der Ich-Perspektive des besagten Oberleutnant Tischner geschildert werden. Das wirkt rückblickend auf mich ein wenig eindimensional und hier wäre durchaus noch Platz für ein oder zwei weitere Held*innen gewesen. Dies ist jedoch ein grundsätzliches Problem dieser Erzählperspektive, weswegen es wichtig ist, mit den Heldentaten nicht zu übertreiben, wenn die Handlung realistisch und vor allem nachvollziehbar bleiben soll.
Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass der Roman mit einer Rückblende des inzwischen zum Major beförderten Protagonisten im Jahr 30.12.2000 auf das Jahr 1995 beginnt. So wird gleich zu Beginn erst einmal ein Stück der Spannung weggenommen, da mit dieser Einleitung bereits klar gemacht wird, dass die Erlebnisse nur noch glimpflich ausgehen können. Auf der Habenseite, hat dieses Vorgehen den Vorteil, dass dadurch eine besondere Verbindung zu Tischner aufgebaut wird und die Leser*innen, den Verlauf der Handlung aus seinen Augen nacherleben können.
Bis auf diese Rückschau gibt es keine Wechsel zwischen den Zeitebenen. Im Großen und Ganzen wirkt dieser Roman wie zwei Geschichten in einer. Die Spionagegeschichte ist ein klassischer Agententhriller, der – wenn wir vom futuristischen Setting absehen – in ähnlicher Form auch eine Folge von „Das unsichtbare Visier“ oder einer anderen DDR-Spionagereihe sein könnte.
Angefangen von lancierten Falschinformationen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften, über waghalsige Abhör- und Observationsaktionen bis hin zu ganz rabiaten Attentaten zieht der Autor alle Register im Kampf der Systeme, jedoch ohne den Bereich der Fiktion zu verlassen. Wer sich hier etwa die Mühe macht, nach den namentlich aufgeführten Rädelsführern oder den im Volltext zitierten Zeitungsartikeln aus der New York Times zu suchen wird enttäuscht werden. Dies nur als lieb gemeinter Hinweis, an Diejenigen, die mit ihren Recherchergebnissen zu den Romanvorlagen von Otto Bonhoff oder Herbert Schauer ganze Internetforen füllen.
Der zweite Handlungsstrang über die Entwicklung der selbstlernenden Roboter wirkt über weite Passagen deutlich ruhiger, fast schon langatmig. Mit großer Akribie beschreibt Tuschel hier die verschiedenen Testreihen, die Montage und das „Training“ der drei „Stochastischen Roboter mit Emotionsschaltung und innerem Umweltmodell“ kurz „Storo“, die vom Entwicklungsteam Anton, Berta und Caesar getauft werden. Es handelt sich dabei um so genannte „Extremwert-Technologie“, die so konstruiert werden soll, dass sie in Bedingungen eingesetzt werden kann, die keine Anwensenheit von Menschen mehr benötigt und fünf jahre – einen vollen Fünfjahresplan lang – ohne Wartung auskommt.
Wir erhalten im Verlauf der Schilderungen mehrere mathematische Exkurse zur Wahrscheinlichkeitstheorie und es fallen immer wieder Begriffe, wie Stochastik, Extremwert, „Monte-Carlo-Methode“ etc., welche die Leser*innen wahrscheinlich aus der Schule kennen dürften. Dadurch wird eine gewisse Anschlussfähigkeit erzeugt. So ein Gefühl als gäbe es hier Anknüpfungspunkte um diese Grundlagen der selbstlernenden Roboter zu verstehen. Aber auf der anderen Seite laufen alle diese Anspielungen ins Leere und Dinge wie die „Extremwert-Technologie“ oder die auf der Spieltheorie-basierende „Gefechtsleitelektronik“ sind rein fiktive Begriffe und gehören bereits zum Science fiction-Teil der Geschichte.
Eine Suchmaschinenabfrage zum Begriff „Gefechtsleitelektronik“ ergibt daher auch ausschließlich Treffer mit Bezug zu diesem Roman. Allerdings mit einer einzigen Ausnahme, eine verschwörungstheoretische Website enthält diesen Begriff auch in einem vermeintlichen Nachrichtenartikel über die angeblichen Schandtaten der NATO, bei dem mit dem Autor wohl ein wenig die utopischen Pferde durchgegangen sind. Tja, dank dieses Romans wissen wir, woher das „Fachwissen“ kommt 🙂
Über die (wenn auch nur vorgestellten) Funktionsprinzipien der Roboter erfahren die Leser*innen leider nicht sehr viel.
An einer Stelle wird angesprochen dass es „drei Grundgesetze für stochastische Roboter“ gäbe und eines davon sei, dass ihre Zuverlässigkeit direkt von der Auslastung ihrer Aktionskapazität abhänge. Danach wird viel herumgeschwurbelt aber unterm Strich bleibt irgendwie hängen, dass die Roboter Scheiße bauen, wenn sie sich langweilen. Wie die anderen beiden Grundgesetze lauten, erfahren wir leider nicht.
Ein weiterer Dreh- und Angelpunkt des „Roboter-Stranges“ dieser Geschichte ist das so genannte „Mensch-Verbot“ für Roboter, welches als „geheiligtes Konstruktionsprinzip für bewegliche, selbstpropgrammierende Maschinen“ in die Handlung eingeführt wird. Die Protagonist*innen beziehen sich darauf als eines aus der westlichen Wissenschaft eingeführtes Prinzip, welches verhindern soll, dass Roboter sich Menschen nähern und ihnen so in irgendeiner Weise Schaden zufügen können. Bei wem an dieser Stelle nicht augenblicklich die Glocken klingeln und wer da nicht an das erste der berühmten Robotergesetze von Isaac Asimov denkt, sollte schleunigst „Ich, der Robot“ lesen.
Die Ingenieure aus der INSEL setzen diese Regel aber kurzerhand aus Gründen der Effizienz außer Kraft, da es zuviel Speicherplatz beanspruchen würde, soetwas einzuprogrammieren und begründen es damit, dass diese Roboter im Rahmen der „Extremwert-Technologie“ sowieso nicht mit Menschen in Kontakt treten könnten, da ihre zukünftigen Arbeitsplätze an unwirtlichen Plätzen wie im Vakuum bzw. im Weltraum oder in extremer Hitze sein würden. Unterm Strich wird Isaac Asimov hier also aus Kostengründen eingespart. Soviel zum Thema Betriebssicherheit!
Etwas ungewöhnlich ist die Veröffentlichung des Buches im Militärverlag der DDR, welche sich mutmaßlich am ehesten dadurch erklären lässt, dass dort neben der üblichen Memoirenliteratur und der Armeerundschau auch hin und wieder Bellestrik mit militärischem Bezug veröffentlicht wurde.
Auch Karl-Heinz Tuschel selbst war im Rahmen des Künstlerensemble „Erich Weinert“ direkt für die NVA tätig. Heute lassen sich davon unter anderem noch seine Credits für die Liedtexte einiger Soldatenkampflieder bei Youtube finden und eventuell ist dies auch der Grund für die Verbindung zum Militärverlag. An einer Stelle des Buches wird es sogar etwas versteckt autobiografisch, wenn der Protagonist Jürgen Tischner erzählt, dass er Erfahrung aus einer früheren „künstlerischen Freizeitbeschäftigung für ein Soldatentheater“ habe.
Insgesamt zählt die freie Enzyklopädie Wikipedia jedoch ganze 10 Romane und etliche Erzählungen, die Tuschel zwischen 1966 und 1989 in vielen verschiedenen Verlagen veröffentlichen konnte. Und selbst nach der Wende ist es ihm noch gelungen einige Werke in kleineren Fanverlagen herauszubringen. So finden sich aus dieser Zeit noch drei neue Romane, eine Neuveröffentlichung eines alten Romans, eine inhaltliche Überarbeitung eines weiteren alten Romans („Kurs Minusmond“) und eine neue Kurzgeschichtensammlung. Teilweise sogar erst nach seinem Tod im Jahr 2005 erschienen.
Diese späteren Veröffentlichungen sind leider deutlich schwieriger zu bekommen, als die aus den großen Auflagen der DDR-Verlage. „Die Insel der Roboter“ hat beispielsweise mindestens sechs Auflagen im fünfstelligen Bereich erhalten, während ich für den Roman „Der Mann von IDEA“, welcher 1995 erschienen ist, bisher kein einziges Exemplar auftreiben konnte.
Trotz der beschriebenen Schwächen konnte mich der Roman überzeugen ihn bis zu Ende zu lesen. Die anfänglich ausgesprochen sperrige Sprache und die etwas eingeengte Struktur gestalten den Einstieg auch nicht gerade einfach. Wer zum Beispiel benutzt heute noch das Wort „Jahrfünft“? Aber in einer Gesellschaft, deren Wirtschaft sich an den Zeiträumen von Fünfjahresplänen orientierte war das vielleicht deutlich gebräuchlicher als heute und letztendlich liefert diese sehr formale Sprache mit den typischen Hang zu Abkürzungen auch einen authentisches Gefühl für den Alltag der DDR, insbesondere in einer so spezifischen Umgebung wie dem Militär und Geheimdienstbereich.
Hin- und wieder wird es mit der Geheimnistuerei auch etwas übetrieben. Allerdings ist das eventuell nicht gerade wiederum realistisch für das Szenario? Wenn der Geheimagent in der Geheimbasis, von der geheimen Betriebsparteileitung eine Rüge für eine Affäre mit einer Kollegin erhält, die aber aus Konspirationsgründen nur vorgespielt ist, was die Parteileitung aber nicht weiß, weil das schließlich geheim ist, dann wird es schon besonders wild. Soviel Heimlichkeit wirkt aus heutiger Sicht absurd, aber Biografien von Geheimnisträger*innen aus der DDR zeigen, dass dies ebenfalls als realitätsnah eingeschätzt werden darf.
Im laufe der Monate gewinnt die Handlung trotz dieser Fallstricke auch zunehmend an Fahrt und besonders der Teil der Spionagegeschichte sorgt für ein stetig zunehmendes Tempo, während die Roboterentwicklung für meinen Geschmack eher so dahinplätschert.
Wer auf Agentengeschichten steht und diesen besonderen nostalgischen Touch mag, den diese Mischung, aus vergangener Zukunftserwartung einerseits und Politthriller aus einem untergegangenen Reich andererseits, ausmacht, kann hier getrost zugreifen. Ebenso dürften sich Fans der Reihe „Das unsichtbare Visier“ hier problemlos zu Hause fühlen auch wenn der Held nicht Achim sondern Jürgen heißt. Für Fans von Robotergeschichten oder der Kybernetik wird hier meinem Empfinden nach eher ein bisschen zu wenig geboten.